Neue Funktionsverlagerungsverordnung vom 18. Oktober 2022

Wesentliche Änderungen der neuen FVerlV vom 18. Oktober 2022 sowie deren Praxisimplikationen.

Im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (kurz: AbzStEntModG) wurden im Jahr 2021 die Vorschriften zum Fremdvergleichsgrundsatz neu strukturiert und an die aktuellen OECD-Verrechnungspreisleitlinien angepasst. In diesem Zusammenhang wurden auch die Regelungen zur Funktionsverlagerung überarbeitet und in einen neuen Absatz 3b des § 1 AStG überführt. Die dadurch erforderliche Neufassung der Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) vom 18.10.2022 ist seit dem 26.10.2022 in Kraft.

Die neue FVerlV bringt einige Verschärfungen mit sich und gilt rückwirkend für alle abgeschlossenen Funktionsverlagerungen für Veranlagungszeiträume, die ab dem 01.01.2022 beginnen.

Ziel der Neufassung der FVerlV war es, Unklarheiten zu beseitigen, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen und darüber hinaus zu keiner Änderung des Erfüllungsaufwandes zu führen. Tatsächlich stellen die umfangreichen Änderungen jedoch teilweise eine materielle Verschärfung gegenüber den bisherigen Regelungen dar – mit weitreichenden Konsequenzen für die von der Funktionsverlagerungsbesteuerung betroffenen Steuerpflichtigen. Im Folgenden werden die wichtigsten Neuregelungen und ihre praktischen Implikationen für die Steuerpflichtigen zusammengefasst.

Neudefinition des Begriffs der Funktionsverlagerung

Der Begriff der Funktionsverlagerung wird in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV neu definiert. Danach liegt eine Funktionsverlagerung vor, wenn eine Funktion einschließlich der mit ihr verbundenen Chancen und Risiken sowie der Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteilen verlagert wird. Nach der bisherigen Regelung war eine gleichzeitige Übertragung bzw. Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen erforderlich. Da eine Funktionsverlagerung in der Regel nur dann vorgenommen wird, wenn sie vorteilhaft ist, wurde mit der neuen Definition die Schwelle für das Vorliegen einer Funktionsverlagerung deutlich abgesenkt und dürfte zu vermehrten Diskussionen im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen führen.

Darüber hinaus ist das bisherige Kriterium der Funktionseinschränkung beim verlagernden Unternehmen nicht mehr Tatbestandsmerkmal einer Funktionsverlagerung. Demnach kommt es nur noch darauf an, ob das übernehmende Unternehmen in der Lage ist, die ganz oder teilweise übertragene oder überlassene Funktion auszuüben oder eine bestehende Funktion zu erweitern. Dies stellt eine deutliche Verschärfung dar und entspricht auch nicht der Sichtweise der OECD.

Zudem ist es nicht mehr erforderlich, dass eine Funktion als Ganzes übertragen oder überlassen wird, sondern es genügt bereits eine teilweise Übertragung oder Überlassung, um den Tatbestand der Funktionsverlagerung zu erfüllen. Dies hat zur Folge, dass vermehrt Transaktionen, die in der Vergangenheit nicht unter die Definition der Funktionsverlagerung fielen, in Zukunft als Funktionsverlagerung qualifiziert werden könnten.

Streichung von Ausnahmeregelungen

Die bisher geltende Verordnung enthielt eine Reihe von Negativabgrenzungen, bei denen keine Funktionsverlagerung angenommen wurde, u.a. konzerninterne Dienstleistungen und konzerninterne Personalentsendungen (§ 1 Abs. 7 FVerlV a.F.). In der Begründung zur neuen FVerlV wird ausgeführt, dass die bestehenden Regelungen sicherstellen, dass in den entsprechenden Fällen keine Funktionsverlagerung vorliegt. In der Praxis kann der Wegfall dieser Einschränkungen jedoch zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, in deren Folge auch in den bisher explizit ausgeschlossenen Fällen eine Funktionsverlagerung angenommen werden könnte.

Entfall von Escape-Klauseln im AstG

Auch die Streichung von zwei der drei bisher bestehenden sog. Escape-Klauseln in § 1 Abs. 3 AStG a.F. stellt eine Änderung zu Lasten der Steuerpflichtigen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen dar. In bestimmten Fällen konnten anstelle einer ertragswertorientierten Transferpaketbewertung Einzelverrechnungspreise für die betroffenen Wirtschaftsgüter angesetzt werden. Mit der Neufassung des § 1 AStG sind zwei der drei bisherigen Regelungen ersatzlos entfallen. Es besteht jedoch weiterhin die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von der Gesamtbewertung des Transferpakets abzusehen, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren.

Abgrenzung Übertragung zu Nutzungsüberlassung

Bisher bestand die Möglichkeit, bei Zweifeln, ob hinsichtlich des Transferpakets oder einzelner Teile eine Übertragung oder eine Nutzungsüberlassung anzunehmen ist, auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Nutzungsüberlassung auszugehen (§ 4 Abs. 2 FVerlV a.F.). Eine Nutzungsüberlassung ist für den Steuerpflichtigen vorteilhaft, da sie in der Regel günstiger ist als die Bewertung des Transferpakets und die damit verbundene sofortige Besteuerung des zukünftig voraussichtlich anfallenden Gewinns. Die in der Praxis häufig genutzte sog. Lizenzierungsoption wurde ersatzlos gestrichen. Sie wurde bisher insbesondere in Fällen genutzt, in denen unklar war, ob alle Tatbestandsmerkmale einer Funktionsverlagerung erfüllt waren. Der nicht weiter begründete Wegfall dieser Regelung dürfte in Zukunft vermehrt zu Diskussionen im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen hinsichtlich der Auflösung vorhandener stiller Reserven bei überlassenen Wirtschaftsgütern führen.

Aspekte, die bei der Bewertung des Transferpakets zu berücksichtigen sind

  • Bei der Bewertung des Transferpakets sind künftig verlagerungsbedingte Steuer- und Abschreibungseffekte einzubeziehen (§ 2 S. 1 FVerlV). Die sog. Exit Tax und der sog. Tax Amortisation Benefit können den Mindest- und den Höchstpreis bei der Transferpaketbewertung erheblich beeinflussen. Die bereits im BMF-Schreiben vom 13.10.2010 (VWG FVerl) dargelegte Auffassung der Finanzverwaltung, dass Steuereffekte bei der Transferpaketbewertung zu berücksichtigen sind, wurde daher in der neuen FVerlV lediglich gesetzlich verankert.
  • Bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes ist künftig zwingend ein vom Kapitalmarkt abgeleiteter risikoadäquater Zuschlag zu berücksichtigen (§ 4 FVerlV). Der Risikozuschlag ist grundsätzlich fremdüblich zu ermitteln, d.h. er muss dem Risikozuschlag entsprechen, den fremde Dritte in einer vergleichbaren Transaktion verwenden würden. Die Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Risikosituation entfällt, was erhebliche Auswirkungen auf die jeweilige Barwertermittlung und damit auf die gesamte Transferpaketbewertung haben wird. Bisher häufig angewandte vereinfachte Ansätze zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes sind damit zukünftig nicht mehr anwendbar. Dies wird auch den administrativen Aufwand erhöhen, da die Ermittlung der fremdüblichen Risikozuschläge in der vorgesehenen Form aufwändiger und in vielen Fällen wohl nicht mehr ohne Beratung möglich sein wird.
  • Bei der Ermittlung der Barwerte für das Transferpaket ist weiterhin grundsätzlich von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum Eine Verkürzung des Kapitalisierungszeitraums ist nur möglich, wenn der Steuerpflichtige entsprechende Gründe nachweisen kann (§ 5 FVerlV). Während die bisherige Fassung der FVerlV lediglich die Glaubhaftmachung eines begrenzten Kapitalisierungszeitraums verlangte, ist nunmehr ein Nachweis durch den Steuerpflichtigen erforderlich. Diese Verschärfung der Nachweispflicht zu Lasten des Steuerpflichtigen kann im Einzelfall zu einer deutlichen Erhöhung des Transferpakets und damit zu einer Erhöhung der Steuerlast des Steuerpflichtigen führen.

Streichung der Regelung zur vorübergehenden Funktionsverlagerung

Durch den Wegfall der Regelung zur zeitlich begrenzten Funktionsverlagerung (Übernahme einer Funktion) muss in entsprechenden Fällen im Einzelfall geprüft werden, ob eine Funktionsverlagerung vorliegt (§ 1 Abs. 2 S. 2 FVerlV a.F.). Dies kann für die Steuerpflichtige insofern unvorteilhaft sein, als sich die zeitliche Begrenzung bei der Bewertung des Transferpakets grundsätzlich für das verlagernde Unternehmen steuermindernd auswirkt, da der Barwert der finanziellen Überschüsse bei einem kürzeren Kapitalisierungszeitraum geringer ist.

Anwendung der FVerlV für Betriebsstättenfälle

Die Neufassung der FVerlV stellt klar, dass die Regelungen zur Funktionsverlagerungsbesteuerung auch auf Geschäftsvorfälle zwischen dem Stammhaus eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte anzuwenden sind (§ 8 FVerlV). Wird also eine Funktion vom inländischen Stammhaus auf eine ausländische Betriebsstätte verlagert, sind die entsprechenden Vorschriften der FVerlV zu beachten.

Erwartete Praxisimplikationen

Die Neufassung der FVerlV führt zu einigen Verschärfungen und darüber hinaus zu neuen Rechtsunsicherheiten. Hervorzuheben ist insbesondere die Neudefinition der Funktionsverlagerung, die dazu führen dürfte, dass künftig vermehrt grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle als Funktionsverlagerung zu qualifizieren sein werden. Zudem wird explizit klargestellt, dass die neue FVerlV auch für Betriebsstättenfälle gilt. Von großer Bedeutung für die Praxis wird auch der Wegfall der Lizenzierungsoption sein. Auch bei der Beurteilung des Transferpakets sind einige Neuerungen zu beachten. Insbesondere die teilweise Einführung einer Nachweispflicht anstelle der Möglichkeit der Glaubhaftmachung führt zu einer Erhöhung der Beweislast und stellt eine deutliche Änderung zu Lasten der Steuerpflichtigen dar.

Neue Rechtsunsicherheiten entstehen insbesondere durch den Wegfall bisheriger klarstellender Regelungen, wie z.B. fehlende Negativabgrenzungen. Mit der Streichung von zwei Escape-Klauseln im neuen § 1 AStG entfallen zudem weitere Erleichterungen für Steuerpflichtige.

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